Kult – Manchmal regelmäßig geöffnet

Nachdem ich nach Hamburg zog und meinen Stadtteil kennen lernte, war mir auch das Haus mit dem ulkig gemalten „Kult“-Schriftzug über seiner Tür bekannt. Lange Zeit habe ich es allerdings nur von außen gesehen und mich gewundert, was hinter jenen bunten Türen wohl von Statten gehen mag.
Am 20. Mai 2021 kam dann der verheißungsvolle Tag: wir wurden bei unserem Spaziergang von einem typisch hamburgischen Regenschauer überrascht und mussten schnell Zuflucht vor der Nässe finden. Da öffnete das Kult uns seine Pforten und bot uns Schutz, Geborgenheit und billiges Bier.
Es war eine Liebe auf den ersten Blick. Fortan kehrte ich immer wieder dort ein. Ob in geschlossenen Kreisen oder offen für neue Leute, ob allein oder mit Freunden, jeder Abend wurde zu einem schönen Abend, wenn man ins Kult ging. So habe ich dort im Sommer schwitzig auf den Ledersofas geklebt, Tischkicker spielen gelernt und das erste Mal ein Mädchen geküsst, im Winter alte Kindheitsfreunde wieder getroffen, meinen Geburtstag gefeiert und sogar den Tod des Papstes unwissentlich prophezeit.

Und dort habe ich auch Fabi getroffen. Ich wusste direkt: wir gehören zusammen, wie Waldof und Statler, aber auf eine quasselige-Tanten Art und Weise.
Fabi hat eine genetisch bedingte chronische Krankheit und schon mehrmals Krebs überlebt. Es ist allen bewusst, dass Fabi nicht alt wird. Dies war der Grundstein für die Idee der fotografischen Dokumentation seines Krankheitsverlaufes. Fabi wollte wissen, was mit seinem Körper passiert, und ich wollte wissen, was mit meinem Freund passiert. Die Idee wuchs schnell zu einer fotografischen Erzählung über den Menschen an sich, die Krankheit rückte in den Hintergrund. So begann ich Fabis Leben zu fotografieren, die Menschen darin und die Orte, an die er geht. Das Kult ist der Ort, an dem alles anfing und es führte einen immer wieder da hin zurück. Schnell merkten wir, dass dieser Kosmos selbst seine eigene Erzählung verdient hat. Es ist unsere Kaschemme (mit mehr oder weniger) Kultur, unser Wohnzimmer am Barmbeker Bahnhof. Es ist unser Ort.

Eine intime Fotostrecke von Merit Bendler, entstanden an unserem Rückzugsort.
Fotografiert mit einer Canon 6D Mark II, Angeleitet von Irina Ruppert, 2023